News

Neue Materialien: Rasanter Farbwechsel

17.03.2021

Intelligentes Glas kann durch Strom schnell seine Farbe ändern. Das Material eines LMU-Teams hat hier nun einen weltweiten Rekord aufgestellt.

Farbwechsel in elektrochromen Materialien. | © Vera Hiendl, e-conversion / LMU

Nachts auf der Autobahn. Es regnet, die grellen Scheinwerfer des Hintermannes blenden. In solchen Fällen ist es gut, wenn man einen automatisch abblendenden Rückspiegel besitzt. Technisch basiert dieses hilfreiche Extra auf elektrochromen Materialien. Wird eine Spannung angelegt, verändern sich deren Lichtabsorption und Farbe. Auf diese Weise kann der Rückspiegel, über einen Lichtsensor gesteuert, stark blendendes Licht herausfiltern.

Vor Kurzem entdeckten Fachleute, dass neben den etablierten anorganischen elektrochromen Materialien auch eine neue Generation hochgeordneter Gitterstrukturen diese Fähigkeit besitzt: sogenannte Covalent Organic Frameworks, kurz COFs. Sie bestehen aus synthetisch hergestellten organischen Bausteinen. In geeigneter Kombination bilden sie kristalline und nanoporöse Netzwerke. Auch bei ihnen kann eine elektrische Spannung den Farbwechsel bewirken, und zwar durch Oxidation oder Reduktion des Materials.

Verbesserte Eigenschaften durch neuen Baustein

Ein Team um den LMU-Chemiker Thomas Bein, Sprecher des Exzellenzclusters e-conversion, hat jetzt COF-Strukturen entwickelt, deren Geschwindigkeit und Effizienz beim Farbwechsel um ein Vielfaches höher liegen als bei den anorganischen Verbindungen. COFs stehen bei Fachleuten hoch im Kurs, denn ihre Materialeigenschaften lassen sich über Modifikationen ihrer Bausteine in weiten Bereichen einstellen. Das nutzten auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der LMU München und der University of Cambridge, um die für ihre Zwecke idealen COFs zu konstruieren. „Wir haben uns das modulare Aufbauprinzip der COFs zunutze gemacht und mit einem speziellen Thienoisoindigo-Molekül den idealen Baustein für unsere Zwecke konstruiert“, sagt Derya Bessinger, Erstautor und Doktorand am Lehrstuhl Bein. Eingebaut in einen COF, konnte das neu entwickelte Molekül dessen Eigenschaften stark verbessern. „Mit dem neuen Material absorbieren wir zum Beispiel nicht nur einen kurzwelligen UV-Bereich oder kleinen Teil des sichtbaren Lichts, sondern erreichen Photoaktivität bis in den Nahinfrarot-Bereich“, sagt Bessinger.

Die neuen COF-Strukturen reagieren gleichzeitig deutlich sensibler auf die elektrochemische Oxidation. Das führt dazu, dass schon eine niedrige Spannung für einen Farbwechsel ausreicht, der zudem komplett reversibel ist. Und beide Vorgänge laufen extrem schnell ab: Die Ansprechzeiten für einen vollständigen und deutlichen Farbwechsel durch Oxidation liegen bei rund 0,38 Sekunden, für die Reduktionsreaktion sogar bei nur 0,2 Sekunden. Damit zählen die elektrochromen organischen Gerüststrukturen des LMU-Teams zu den schnellsten und effizientesten weltweit.

Hohe Stabilität im Langzeittest

Für die Geschwindigkeit sind vor allem zwei Dinge verantwortlich: Die leitfähige Gerüststruktur der COFs ermöglicht einen schnellen Elektronentransport im Gitter. Und dank einer optimierten Porengröße kann sich die umgebende Elektrolyt-Lösung rasch bis in den letzten Winkel verteilen. Dies ist zwingend notwendig, denn die erzeugte positive Ladung des oxidierten COF-Gitters muss überall schnell durch negativ geladene Elektrolyt-Ionen ausgeglichen werden. Nicht zuletzt besitzt das Produkt des LMU-Teams eine sehr hohe Stabilität. Langzeittests ergaben, dass das Material auch nach 200 Oxidations-Reduktions-Zyklen seine Leistung beibehalten konnte.

Die Publikation bringt mit ihren grundlegenden Erkenntnissen die Entwicklung einer neuen Klasse besonders leistungsfähiger elektrochromer Beschichtungen voran. Der Markt dafür ist vorhanden, dies zeigt beispielsweise der Einsatz von „intelligentem Glas“ als steuerbarer Sonnen- oder Sichtschutz für komplette Gebäudefronten.

Journal of the American Chemical Society, 2021.

Wonach suchen Sie?